Protestkunst – PR – Propaganda

Zeitgenössische Kunst spielt eine so zentrale Rolle in Crash, weil Anleihen bei der zeitgenössischen Protestkunst, bei deren Ideale, Methoden und Bildsprache den linksliberal-bildungsbürgerlichen Mainstream entscheidend prägt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich immer mehr Künstlerinnen und Künstler demonstrativ gesellschafts- und konsumkritisch positioniert. Beispielhaft, weil ich in Crash auf ihre Arbeiten anspiele, seien hier die anonymen Poster-, Billboard- und LED-Installationen von Jenny Holzer aus den 1980er Jahren genannt,

die OBEY-Streetwear von Shepard Fairey

und die subversive Streetart eines Banksy (beide seit Ende der 1990er),

oder die mit gesellschaftskritischen Suggestivfragen bedruckten U-Bahntickets, die Barbara Kruger 2017 in New York in Umlauf brachte.

Die Abgrenzung zu einer durchkommerzialisierten Massenkultur hat diese zeitgenössische Protestkunst und ihre Produzenten in den vergangenen Jahrzehnten zu Bürgen für Wahrhaftigkeit und Widerständigkeit erhoben – beides Qualitäten, die der Politik immer lautstarker abgesprochen werden, beides jedoch auch Qualitäten, die paradoxerweise den Marktwert und Status nicht nur dieser ausgewiesenen Protestkunst, sondern der zeitgenössischen Kunst generell erhöhen. Bildenden Künstler*innen (insbesondere der Generation nach Kruger und Holzer) wird Starstatus zugesprochen,

und gerieren sich als Unternehmer,

während sich ihre zumeist als Unternehmer tätige Mäzene wiederum, ihrerseits nahezu als Künstler verstehen.

Auf Kunstauktionen werden immer neue Höchstpreise erzielt. Kunstwerke gelten aufgrund ihrer potentiell hohen Rendite als Investitionsobjekte und werden von Art Consultants in auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Privatsammlungen oder Anlage-Portfolios zusammengefasst, Galerien verkaufen eigene Merchandise. Vernissagen und Kunstmessen sind gesellschaftliche Events. Private Sammlungen werden in immer originelleren – oft historisch aufgeladenen – Locations wie Weltkriegsbunkern, Nazi-Kasernen, oder ehemaligen DDR-Behörden der Öffentlichkeit präsentiert, wobei der kritisch-ironisch verbrämte Flirt mit der Diktatur durchaus Teil der Inszenierung ist.

Inhaltlich widerständige Kunst zu besitzen, gilt als exklusiver Ausweis postmateriellen Bewusstseins und erhebt ihre Sammler zu Influencern, deren Repräsentationsformen in den Feuilletons der Qualitätspresse, in Hochglanzmagazinen und Lifestyle-Blogs porträtiert werden.

Von dort wiederum sickern Bilder und Slogans zurück in die Werbung, werden zum Versprechen von Unangepasstheit und Rebellion aufbereitet und in Kampagnen eingesetzt, die sich formal kaum von Kunstdokumentionen,

Streetart, oder anonymen Aktivismus unterscheiden.

Werbekampagne Zalando, Berlin, April 2021

und gerade deshalb die städtische Mittelschicht besonders ansprechen.

Teile der rechten Szene haben dieses Potential längst für sich entdeckt. In den USA wendet der der Alt-Right zugerechnete Street Artist Sabo die Bildsprache linker Protestkünstler auf ultrarechts.

In Italien adaptiert die neofaschistische Bewegung CasaPound Aktionsformen und Ästhetik der radikalen Linken und die Band des CasaPound-Gründers Gianluca Giannone scheint näher am linken Punk als am rechten Hardcore.

In Deutschland schließlich, imitieren die öffentlichen Interventionen der rechtsextremen Identitären Bewegung, etwa das Ende 2017 am Brandenburger Tor errichtete temporäre Mahnmal für die Opfer islamistischer Gewalt, die Protestaktionen des linken Zentrums für politische Schönheit.

Auch hier sind die grundlegenden inhaltlichen Unterschiede zwischen Original und Kopie für den oberflächlichen Betrachter immer schwerer zu erkennen – selbst wenn die Botschaft so unmissverständlich formuliert ist, wie in den anonymen rechten Guerillaplakaten, die Ende Mai 2021 in Berlin auftauchten und von einer eingängigen Kampagne in den Sozialen Medien begleitet wurden.

Anonyme rechte Guerilla-Plakatierung, Berlin, Mai 2021
Begleitende Social Media Kampagne, Mai 2021 (zuletzt abgerufen 29.06.2021), auch diese anonym.

Anfang August 2021 machte eine anonyme Plakatkampagne Furore, die die Bildsprache der Grünen aufgriff und deren Wahlslogans umkehrte. Indizien deuteten dabei wiederum auf das Umfeld der AfD.

Bisher ist die Reichweite derartiger Aktionen noch relativ begrenzt. Was aber, wenn diese rechten Gruppierungen auf das erforderliche Knowhow, die Infrastruktur und vor allem ausreichend Finanzen zugreifen könnten, um ihre Botschaften flächendeckend zu verbreiten,

oder – noch radikaler – wenn eine gänzlich neue populistische Bewegung von Kommunikationsexperten auf dem Reißbrett entworfen und mit entsprechenden finanziellen Ressourcen ausgestattet, die Strategien dieser Gruppierungen für ihre Zwecke aufgreifen würde?

-> Designerpopulismus