Designerpopulismus

Populistische Bewegungen entstehen immer weniger aus der wie auch immer definierten Mitte des Volkes. Vielmehr verdanken sie Ihre Existenz zunehmend dem Kalkül von Kommunikationsberatern und der finanziellen Unterstützung durch oft unbekannte Kapitalgeber. Das zeigt das Beispiel des lagerübergreifenden populistischen MoVimento Cinque Stelle in Italien, das seinen Aufstieg zur stärksten italienischen Einzelpartei der Steuerung durch die Kommunikationsberatung Casaleggio Associati srl verdankt. Cinque Stelle lieferte wiederum die Blaupause für die von Politstrategen initiierte und von prominenten Wirtschaftsbossen unterstützte Brexit Party in Großbritannien. In beiden Fällen lassen sich die Finanzflüsse dieser Gruppierungen nicht nachvollziehen, weil sie über Privatfirmen laufen, die ihre Einnahmen nicht als Spenden deklarieren müssen. Währenddessen erhielt die AfD im Vorfeld der Landtags- und Bundestagswahlen 2016 und 2017 über den Stuttgarter Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten und eine mit diesem eng verbundene Schweizer PR-Agentur indirekte millionenschwere Wahlkampfhilfen in Form von Werbemitteln – unter anderem Plakaten und Gratiszeitungen. Überdies wurder der Partei aus denselben Kanälen offenbar auch maßgebliche Unterstützung beim professionellen Aufbau ihres Social-Media Auftritts zuteil. Die Herkunft der Gelder für diese Kampagnen ist ungeklärt, vieles deutet jedoch auf den in der Schweiz lebenden, milliardenschweren Baron August von Finck Junior und den ebenso betuchten Duisburger Immobilienentwickler Henning Conle.

https://www.youtube.com/watch?v=qmasXyJhzdY

Wenn den Aussagen der AfD Gründungsvorsitzenden Frauke Petry zu trauen ist, dann haben diese Geldgeber im Gegenzug auf die Partei Einfluss genommen und deren Hinwendung zum völkisch-nationalen Flügel um Björn Höcke vorangetrieben. Wie eine solche Einflussnahme vonstattengegangen sein und wer sie ausgeübt haben könnte, zeigen die Recherchen des ndr-Investivformats strg+f:

Unterdessen ließ der bundesweit agierende Immobilienentwickler Christoph Gröner 2018 vor laufender Kamera verlauten, gemeinsam mit anderen Wirtschaftsgrößen eine eigene Partei gründen zu wollen.

Ungleichland (2018), Aussage Christoph Gröner ab Minute 43:07

Ein Jahr später kündigte Gröner am Rande einer Kunstauktion dann die Gründung eines Vereins für den gesunden Menschenverstand an, der sich mit gesellschaftspolitischen Themen beschäftigen werde.

Ob Gröner dieses Projekt weiterverfolgt hat, ist unklar. Dafür sind im Zuge der Corona-Pandemie neue populistische Akteure in den Vordergrund getreten. Die sogenannten „Hygienedemonstrationen“, die im April 2020 zunächst vor der Volksbühne in Berlin – einer inoffiziellen Gralsburg der kulturellen Linken – stattfanden, wurden unter anderem von Anselm Lenz initiiert, der bis dahin als Dramaturg, Aktionskünstler und Journalist vor allem in eher links orientierten Publikationen in Erscheinung getreten war und als Gründungsmitglied des kapitalismuskritischen Künstlerkollektivs Haus Bartleby e.V., einem „Zentrum für Karriereverweigerung“ und dem plakativen Aufruf zum „lebenslangen Generalstreik“ Sag alles ab Mitte der 2010er Jahre kurzzeitig Aufsehen im liberalen Feuilleton erregte. Im April 2020 zeichnete Lenz dann u.a. mit dem Philosophen Giorgio Agamben als Herausgeber der Zeitung Demokratischer Widerstand verantwortlich, die sich als „Stimme der parteiunabhängigen liberalen Opposition und der kritischen Intelligenz in der Bundesrepublik auf Basis des Grundgesetzes“ definierte und gegen die Regierungsmaßnahmen zur Eingrenzung der CoVid19-Pandemie Front machte. Die graphisch an linke Flugschriften angelehnte Gratispublikation wurde unter anderem flächendeckend in einem Park im ehemaligen Kreuzberger Bezirk SO36 ausgelegt, dem vormaligen Epizentrum der Berliner Hausbesetzerbewegung. Ende August 2020 rief Lenz bei der ersten Querdenken-Großdemonstration in Berlin zur Revolution gegen die „faschistoide Regierung“ auf, kurz darauf versuchte sich ein mit Reichsflaggen bewehrter Mob aus der Demonstration heraus gewaltsam Zutritt zum Bundestag zu verschaffen.

Ähnlich wie bei den vorangegangenen „Hygienedemonstrationen“ in Berlin zog auch diese Großdemonstration ein überaus heterogenes Publikum an, das das gesamte Spektrum von Verschwörungstheoretikern, Esoterik-Fans und Fundamentalchristen bis hin zu bildungsbürgerlichen Impfgegnern und rechtsextremen Reichsbürgern umfasste.

Geeint werden diese sehr unterschiedlichen Gruppierungen durch das Geschick, mit dem sie Versatzstücke linker Protestkultur für ihre Zwecke kaperten, etwa, wenn sie von ihren Lautsprecherwagen Bob Marleys (links besetzte) Widerstandshymne Get up, Stand up abspielten, oder wenn sie das ebenfalls eher links verortete Volkslied Die Gedanken sind frei intonierten. Auch in der Bildsprache docken die Querdenker überaus raffiniert an bereits im kollektiven Denken verankerte Protest-Ikonen an. So riefen die herzförmigen Ballons, die viele der Teilnehmer an den Berliner Demonstrationen mit sich trugen, unweigerlich Erinnerungen an Banksys (vom Künstler wiederholt für linke Anliegen zur Verfügung gestellte) Streetart-Stencil Girl with Balloon wach – ein Kunstwerk, das spätestens seit der spektakulären Selbstzerstörung einer Kopie unmittelbar nach deren Versteigerung für einen Rekordpreis zum antikapitalistischen Kultbild erwachsen ist.

Demonstranten im Tiergarten bei der zweiten Querdenken-Großdemonstration in Berlin, 18.11.2021
(Foto S. Saygin)

Zur Finanzierung ihrer Initiativen greifen Anselm Lenz, der Initiator der Querdenken-Bewegung Michael Ballweg und andere in ihrem Fahrwasser auf kreative Geschäftsmodelle zurück, indem sie etwa zu Spenden oder Schenkungen auf Privatkonten aufrufen.

Eine weitere Einkommensquelle ist der Verkauf von gebrandeter Merchandise , die zum Teil bewusst auf junge, urbane Hipster abzielt und deren politische Botschaft auf den ersten Blick nur von Insidern zu entziffern ist.

T-Shirt-Angebot eines Online-Shops für Querdenker-Bedarf aus dem unmittelbaren Umfeld des Demokratischen Widerstands (abgerufen, 29.06.2021) .

Der Designer des oben abgebildeten T-Shirts bezeichnet sich als Kommunikationsberater und nimmt für sich in Anspruch, „ziemlich genau zu wissen, „wie und wo der massenpsychologische Propaganda-Hase läuft“ – wobei er in diesem Fall vor allem die Ästhetik des wiederum klar links positionierten Zentrum für politische Schönheit imitiert.

-> Protestkunst – PR – Propaganda

Ungeachtet dieser vorgeblichen Expertise hat sich weder der Demokratische Widerstand noch eine der im Umfeld von Querdenken gegründeten politischen Parteien bisher auch nur ansatzweise zur Massenbewegung ausgewachsen. Dennoch beobachten Extremismus-Experten und Verfassungsschutz die fortschreitende Vernetzung und Radikalisierung dieser Szene, insbesondere über Messenger-Dienste wie Telegram. Währenddessen wird die AfD von einem internen Machtkampf zwischen gemäßigtem und völkischem Lager erschüttert und eine bundesweite Einstufung der Partei als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz wurde im März 2021 nur knapp gekippt. Das hindert die Partei jedoch nicht daran, bei Landtagswahlen wie zuletzt in Sachsen-Anhalt satte zweistellige Ergebnisse einzufahren und als zweitstärkste Partei in den Landtag einzuziehen.

Der Zulauf, den diese populistischen Protestbewegungen erfahren und der immer wieder gewalttätig durchbrechende Unmut ihrer Anhänger speist sich nach Meinung von Politikwissenschaftlern und Soziologen aus der zunehmenden sozialen Spaltung der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die zwar seit Jahren in Politik und Medien konstatiert, im Alltag jedoch zumeist bewusst ausgeblendet wird.

-> Burnout BRD