Köln

Köln rühmt sich gerne, die nördlichste Stadt Italiens zu sein. Die italienische Lässigkeit der Stadtoberen in Wirtschaftsdingen hat in den letzten Jahren auch über die Grenzen der Domstadt hinaus Aufsehen erregt und ist seit März 2011 Objekt staatsanwaltlicher Ermittlungen.

Die WDR-Reportage Milliarden Monopoly beleuchtet die Verbindungen zwischen Kommunalpolitikern und der Oppenheim-Esch-Fonds GmbH:

Ebenfalls dem WDR ist die Dokumentation Beraten und verkauft über dubiose Beraterverträge für prominente Kommunalpolitiker und die dreistelligen Millionenverluste der Sparkasse KölnBonn im Zusammenhang mit dem Neubau der Kölner Messehallen zu verdanken:

Die Verwicklung der Sparkasse in die Geschäfte der Oppenheim-Esch-Fonds GmbH und die Beziehungen von Kommunal- und Landespolitikern zur Führungsriege der Fonds-Gesellschaft wurden zuletzt in Das Kölner Spiel ist aus ausführlich analysiert. Der Artikel greift auf die Erkenntnisse zurück, die Sören Jensen seit 2005 in seinen Reportagen für das manager magazin veröffentlich hat. Jensen wiederum konnte unter anderem auf Vorarbeiten aufbauen, wie sie Werner Rügemer in Colonia Corrupta (12002, 72012) und Frank Überall in Der Klüngel in der politischen Kultur Kölns (2007) vorgelegt haben.

Während Außenstehende meist klare Worte für die Kölner Zustände finden, neigen viele Kölner dazu, die enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft in ihrer Stadt als „kölschen Klüngel“ zu verharmlosen. Dabei gerät in Vergessenheit, dass diese eigenwillige Form der Brauchtumspflege Schäden im dreistelligen Millionenbereich verursacht.

Die Verluste, die die Stadt allein durch den Messeskandal zu gewärtigen hat, werden auf rund 360 Millionen Euro geschätzt. Der Schaden, der Köln im Zusammenhang mit dem Bau des technischen Rathauses und der angeschlossenen KölnArena (mittlerweile LanxessArena) entstanden ist, bewegt sich vermutlich ebenfalls in dreistelliger Millionenhöhe. Für die kleineren Oppenheim-Esch-Projekte, z.B. das Bezirksrathaus Nippes und das Medienzentrum Coloneum in Ossendorf, liegen keine konkreten Zahlen vor. Allen Projekten ist gemeinsam, dass sie überdimensioniert und zum Teil nicht funktional sind, die Stadt sich aber auf Jahrzehnte zur Zahlung von ortsunüblich hohen Mieten an die Fonds-Gesellschaft verpflichtet hat.

Die Lücken, die einige der prominentesten Akteure der Kölner Politik und Wirtschaft mit krimineller Energie in den kommunalen Haushalt gerissen haben, werden jedoch durch die geschätzten Kosten von rund 1 Mrd. Euro in den Schatten gestellt, die die Stadt in den kommenden Jahrzehnten für die Restaurierung der Bestände und den Wiederaufbau ihres historischen Stadtarchivs aufbringen muss. Das Archiv – eines der größten seiner Art in Deutschland mit Dokumenten zu mehr als tausend Jahren Stadt- und Landesgeschichte – war im März 2009 nach massivem Pfusch beim U-Bahn-Bau eingestürzt und hatte zwei Menschen in den Tod gerissen.

Geht man davon aus, dass der Stadtarchiveinsturz und der Oppenheim-Esch-Skandal nur die Spitze des Eisbergs darstellen, dann dürften die tatsächlichen Verluste, die der Stadt alljährlich durch weniger spektakuläre Fälle von grober Fahrlässigkeit, allgemeinem Unterschleif und Korruption entstehen, sogar noch weitaus höher sein.

Die Zeche zahlen die Kölner Steuerzahler. Sie werden dabei doppelt belastet: Einerseits müssen sie die milliardenschweren Schulden der Stadt schultern – Ende 2015 lag die Pro-Kopf-Verschuldung in Köln bei 4.800 Euro, im benachbarten Düsseldorfer hingegen lediglich bei 898 Euro. Andererseits leben die Kölner täglich mit den Konsequenzen der radikalen Einschnitte, die für die Sanierung der städtischen Finanzen erforderlich sind. Bis 2015 muss die Stadt insgesamt 150 Millionen Euro einsparen. Die dazu geplanten Kürzungen treffen nicht zuletzt die Kulturszene und den sozialen Bereich.

Die Folgen für die Stadt sind unübersehbar: Dass Köln an vielen Ecken eher an Palermo erinnert, denn an andere deutsche Großstädte vergleichbarer Größe, hat ebenso etwas mit den klammen Finanzen der Kommune zu tun, wie die Tatsache, dass weite Teile der einstmals so lebendigen Kölner Kunstszene der Stadt den Rücken gekehrt haben.

Schwerer als das verlotterte Erscheinungsbild und das drohende Versacken Kölns in die kulturellen Zweitrangigkeit wiegen allerdings die Folgen der maroden Finanzen für das bürgerschaftliche Leben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Domstadt. Je weniger die Kommune in nachhaltige Sozialarbeit und kulturelle Projekte in Brennpunktvierteln wie Kalk, Vingst, Höhenberg, Mühlheim und Chorweiler investieren kann, desto größer wird die Sprengkraft der sozialen Probleme, die sich dort zusammenbrauen. Die Zunahme von Gewaltdelikten an den Wochenenden und die gefühlte und tatsächliche gesteigerte Krawallbereitschaft während des traditionellen Straßenkarnevals aber auch im Umfeld der Spiele des Kölner FC können auch als Anzeichen für die verstärkten gesellschaftlichen Spannungen in der Stadt gedeutet werden.

Seit einigen Jahren regt sich jedoch Widerstand gegen das Kölner System. Bislang richtet sich dieser Widerstand vor allem gegen die Intransparenz der Kölner Bau- und Kulturpolitik. Die im Frühjahr 2002 gegründete Initiative NÖ.NÖ, Initiative Josef-Haubrich-Forum konnte zwar nicht den Abriss des Haubrich-Forums, einem der zentralen Orte der Kölner Kunstszene seit den 1960er Jahre, verhindern, erreichte aber durch das Engagement prominenter Künstler auch ein überregionales Publikum.

Als Fortschreibung dieser Initiative kann die Intervention Liebe Deine Stadt des Künstlers Merlin Bauer verstanden werden. Das Projekt versucht seit 2005 das Bewusstsein der Kölner für das architektonische Erbe ihrer Stadt aus den 1950er und 1960er Jahre zu wecken und den Abriss von emblematischen Bauten aus dieser Zeit zu verhindern.

Auf dieser Basis konnte die Initiative Mut zur Kultur aufbauen, als sie im Herbst 2009 ein Bürgerbegehren gegen den Abriss des Kölner Schauspielhauses organisierte. Bis März 2010 sammelte die Initiative mehr als 50.000 Unterschriften, einen Monat später trat der Rat der Stadt Köln dem Begehren bei und ebnete so den Weg für eine Sanierung des denkmalgeschützten Ensembles von Wilhelm Riphahn. Mut zur Kultur rechnet dabei mit Kosteneinsparungen von mindestens 100 Mio. Euro gegenüber dem ursprünglich geplanten Neubau.

Der Erfolg des Bürgerbegehrens war sicherlich auch eine Reaktion auf den Stadtarchiveinsturz wenige Monate zuvor. Viele Kölner hatten das Ereignis als tiefen Einschnitt in die Stadtgeschichte empfunden. Unmittelbar nach dem Einsturz entstanden die Initiativen Kölner Komment und Köln kann auch anders. Während der Komment seine Aktivitäten offenbar im Sommer wieder einstellte, ist Köln kann auch anders bis heute eine Anlaufstelle für alle, die sich „gegen Fahrlässigkeit, Verantwortungslosigkeit, Inkompetenz und undurchsichtige Interessenverflechtung sowie gegen achtlosen Umgang mit öffentlichem Raum und öffentlichem Eigentum“ in Köln engagieren wollen.

Fraglich ist allerdings, ob diese Initiativen mit ihrer weitgehenden Beschränkung auf bau- und kulturpolitische Themen eine nachhaltige Veränderung bewirken können. Fraglich scheint auch, ob und wie lange ihre Akteure sich der Sogkraft des Kölner Klüngels werden entziehen können.

Header-Foto © Frank Schnütgen